Das unterschätzte Potential im Unternehmen? Teil 6

Was Chefs aus ihrem Führen in der Familie für ihr Führen im Unternehmen lernen können

Zur Erläuterung ein Beispiel

„Wer schreibt, der bleibt“

Die Mutter nutzt den Samstagnachmittag, um alte Unterlagen und anderes zu sortieren.
Sie findet einen alten Schuhkarton mit alten Tagebüchern und Briefen und Postkarten. Sie beginnt zu lesen. Besonders die Briefe lassen sie die Welt um sie herum vergessen. Sie erinnert sich, wie aufregend und enorm wichtig ihr der Austausch mit einer Brieffreundin war. Jedes Mal, wenn damals ein Brief im Postkasten lag, nahm sie diesen beseelt in die Hände, betrachtete ihn, roch daran und freute sich auf die Zeilen, die sie darin vorfinden würde. Jeder Brief war für sie etwas ganz Kostbares, etwas Besonderes. Noch am selben Tag setzte sie sich an ihren Schreibtisch und verfasste selber sorgfältig ein, zwei Seiten an ihre Freundin in der Ferne. Die Mutter erinnert sich an das warme Gefühl, das sie hatte, wenn sie diese Briefe las und beantwortete. Sie spürt das „Bleibende“ an diesen Briefen. Sie denkt: „Es ist wunderbar, wenn sich jemand wirklich Zeit nimmt und ganz persönliche Gedanken formuliert und zu Papier bringt. Selten – in der ´heutigen Zeit`. Besonders selten in der Geschäftswelt heute.“

Sie überlegt, dass es eine Parallele zu ihrer schriftlichen Kommunikation in ihrer Firma gibt. Sie
zieht den Schluss: „Im Prinzip ist es ein USP (unique selling proposition = Alleinstellungsmerkmal) für mich, unser Unternehmen, wenn ich als Chefin an einen besonderen Geschäftspartner einen „echten Brief“ per „snake mail“ (=Post) schreiben würde. Vielleicht festige ich mit solchen kleinen persönlichen Botschaften unsere Geschäftsbeziehung. Der Adressat spürt, dass er mir wichtig ist – als Geschäftspartner und als Mensch.“ Sie überlegt: „Ich werde Herrn XY zu seinem runden Geburtstag keine obligatorische Geburtstagskarte senden, sondern einen handgeschriebenen individuellen Brief.“

Ein persönlich verfasster, mit der Hand geschriebener Brief kann sowohl für den Absender als auch für den Adressaten eine kleine Inspiration im (Unternehmens-)Alltag sein. Zudem ist er ein persönliches, menschliches Zeichen in unserer so unpersönlichen, permanent unter Druck stehendenden Geschäftswelt.

Wie schreibe ich einen „guten Brief“?
Antwort gibt Aristoteles: „Einen Brief soll man so schreiben, wie man spricht.“

Schriftliche Botschaften gibt es übrigens in etwa seit 3000 vor Christus in Ägypten. Sie waren ein politisches Kommunikationsmittel. Genutzt wurden sie von der Oberschicht, die gebildet war. Damals wurden sie diktiert. Der Adressat bekam den Brief dann vorgelesen. Die Literatur weist eine Fülle von Briefwechseln auf, die in Büchern zusammengefasst wurden. Insbesondere zeigen die Briefe die Beziehung zwischen den Briefeschreibern. Ein individuelles, sehr persönliches Zeugnis von gelebter Emotion auf der persönlichen Ebene.

Veröffentlicht in: The Huffington Post